PBP 2019

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der Bericht eines Rookies: ALLEZ | RETOUR | Nachschlag | Erfahrungen

 

 

R E T O U R: Dienstag nach Mitternacht

Brest erreicht nach gut 600 km! Mitten im ersten, großen Tief, wie jetzt noch gut 600 km weiter fahren!?!

Ein Bett gab es nicht mehr, es lagen eh schon überall Radler herum. Ein Gespräch mit Arun und ein Bier gepuschtes Powernap auf drei Stühlen, abgeschaut von meinem holländischen Tischnachbarn, haben mich aber schnell wieder aus meinem Tief und damit aus der Stadt heraus gebracht - obwohl schnell war ich die Steigungen hoch aus Brest heraus nicht. Krisen kommen und gehen, es ist wie immer: Pausen und Essen für mich das A & O der Langstrecke.

622km und nur 5,5 h Pause, läuft!

 

 

 

 

Jetzt "nur" noch das Gleiche zurück!

Ein gutes Gefühl, die Hälfte geschafft!

 

 

 

 

Vor der längsten Steigung noch der Besuch in einem Café, das durchgehend geöffnet war. Sie ließen Randonneure in einer ruhigen Ecke schlafen. Dort auch bekannte Radler*innen aus Deutschland getroffen, eine kleine Erdung; ihnen geht es gut, sie müssen noch nach Brest.

So klappte dann auch auf dem Rückweg die Überquerung des Roc’h Trévezel, dem Dach von PBP  - langsam & locker! Den Rest machte der Sonnenaufgang . . . . .

Der Morgen hatte mit dem folgenden Nebel alles zu bieten. Die Dörfer noch menschenleer.

Abwechslung brachten auch die wie an einer Perlenschnur aufgereihten weißen Lichter der entgegenkommenden Radler, die auf dem Hinweg waren.

 

Anhalten und Bilder machen war angesagt!

Hier passen ein paar Bemerkungen zur Landschaft, denn die ist bisher zu kurz gekommen. Fragst du Pjotr, dann ist die Landschaft "ein wenig öde". Fragst du mich, dann ist sie echt schön, nur nicht so spektakulär, wie im Gebirge oder so abwechslungsreich, wie im stark konturierten Mittelgebirge. Die Landschaft ist sanfter geschwungen und insgesamt über größere Abschnitte gleichförmiger. Zum Glück, dann hat man im Dunkeln nicht ständig das Gefühl, etwas zu verpassen und das meine ich ernst!

Spektakulär war das Spiel der Sonne zu jedem Sonnenunter und - aufgang, wovon es ja reichlich gab!

 

 

Doof nur, dass unsere Rückwegschleife über eine größere Straße führte und die Laster ganz schön an uns vorbei schossen, ok - nicht in diesem Bild. Bis auf die Stadtdurchfahrten bei Tag, der einzige Moment, wo ich über den Verkehr nachgedacht habe - deutlich über 1000km ohne Auto-Stress! Hier musste ich irgendwann mal ein Stück gehen, der Rücken war verspannt.

Carhaix (696 km) zur Frühstückszeit erreicht, aber Süßes wollte ich nicht, der Magen war noch nicht ganz fit. Wieder an den kleinen Schlangen fürs Menü vorbei zur Selbstbedienungstheke, es sollte eine Suppe zum Baguette sein. "Gibt’s nur drüben!" . . . . Sie haben wohl mein langes Gesicht beim Weggehen gesehen, denn plötzlich ein leiser Pfiff, stand meine Suppe auf dem Tresen – DANKE!

Ob sie sich da was eingebrockt haben?!? Denn nach mir bildete sich eine Suppenschlange . . . Überhaupt, ohne die Unterstützung aller super freundlichen Freiwilligen wäre es um einiges härter geworden. 

Ab Carhaix waren wir wieder mal mit dem Hinweg vereint und durch den zähen Nebel brachen immer wieder kleine Gruppen auf der Gegenfahrbahn durch. Ein Verkehrsschild lässt mich kurz an meiner Intention zweifeln direkt Richtung St. Nicolas oder ein wenig Tourismus zur Mur de Bretagne?

In St. Nicolas (ca. 740 km) - der zweiten "Geheim"-Kontrolle - wurde es dann richtig heiß, beim Packen Freunde getroffen und einen kurzen Plausch gehalten. Erdung tut immer gut. Sie waren ok, auch wenn das Schlafen im (eis?!)kalten Loudeac und im Freien nur bedingt geklappt hat. Sie waren vor mir gestartet und werden für die Strecke ca. fünf Stunden weniger brauchen.

Die Landschaft ist zunächst noch offen und . . . kein Wind von hinten! Der hatte man brav gedreht und blies uns jetzt manchmal wieder ins Gesicht, danke auch – gut, dass mir Wind nicht viel macht!

 

Irgendwann passierten wir eine Apotheke, da war doch was . . . Riopan (Großpackung) und Lutschbonbons gegen den trockenen Hals gekauft und auf die virtuelle Packliste gesetzt.

 

Vor Loudeac wird es hügelig und die Mittagshitze zwingt mich zu einer Schattenrast am Menhir. Warum auch nicht, Zeitstress hatte ich nicht und einige Vorbeifahrende gaben mir mit einem Thump up ihren Segen.

Loudeac (786 km) zur späten Mittagszeit ist seltsam leer, mit Lust auf Sightseeing die Velomobile erkundet und einen kurzen Powernap im Schatten genossen und erfrischt geht’s weiter!

Ja, ich bin irgendwie müde und hoffe, ich höre mich nicht so lallend und verwirrt an, wie mein „alter“ Kölner Kumpel, der sein schneeweißes Haar offen trägt. Wir werden uns oft wiedersehen, denn er fährt mir meist zu schnell, liegt dann aber wieder irgendwo rum und schläft; auch eine ne erfolgreiche Taktik.

 

  

In Quedillac (846 km) war dann Schluss - noch ne Nacht durchfahren ging nicht. Warum auch, ich lag super in der Zeit! Ohne Essen, gleich Duschen, frische (!) Klamotten anziehen und rein in den leeren, warmen Schlafsaal! Buff über die Augen und vier Stunden pennen - herrlich!

Nach zwei Stunden davon schrecke ich hoch, packe meine Sachen, dann schaue auf die Uhr, grinse und schlafe für zwei weitere Stunden schnell tief und fest wieder ein. Nach einem kleinen Mahl, richtig warm gab es nur Crêpes mit fetter Grillwurst?!?, ging es kurz nach 23 Uhr weiter. Ich hätte ich nicht gewettet, dass ich die nächsten 24 Stunden ohne Schlaf weiterfahren kann – und will!

Warum mehr tagsüber schlafen als nachts?!?

Weil für mich nachts Radfahren eine wunderbare Reise nach innen ist, die ich sehr schätze. Selten, dass von außen große Reize kommen. Selbst Steigungen - vor allem wenn sie sanft sind - sind keine Hindernisse mehr, weil ich sie besonders im Dunklen automatisch mit dem minimalsten Kraftaufwand überwinde. Und 1/3 vom Tag konnte man gut auf die Landschaft verzichten. Zum Glück, dass mich die fehlende Helligkeit nicht müde macht, wo mich doch jeder Sonnenaufgang so belebt!

 

Mittwochmorgen

Tinteniac (873 km) in der Nacht, ein guter Ort für ein warmes Mahl, denn die Auswahl ist groß. Frisch gestärkt wieder los und zusätzlich gepuscht durch meine beiden Jungs, Fred und Karl aus Seattle. Die Gespräche machten das Radfahren nun zur Nebensache.

Nicht nur die Randonneure, auch die Helfer wurden langsam gezeichnet.

In Fougeres (937 km) nach dem Essen mit Gymnastik auf dem Boden dem Rücken eine kleine Auszeit  gegeben. Dumme Idee, denn das hat mich für eine Stunde mit Müdigkeit kämpfen lassen. Die verflog aber, als der dritte Sonnenaufgang kam. Erst der aufziehende Morgennebel machte es saukalt, zumal für leidlich ausgelaugte Körper. Ein Stopp im Café mit warmem Kaffee und ein Schwätzchen mit meinem Kölner helfen. Der freute sich über mein erworbenes Riopan. Gut, dass es nur Großpackungen gab!

Hier haben die Anwohner wieder alles gegeben.

In Le Ribay vor der Überquerung der Rue National den Verlockungen der Franzosen erneut erlegen. Kuchen war umsonst, für Getränke und anderes Essen wollten sie eine Kleinigkeit, die sie gerne bekamen. Hier konnte ich wieder Kaffee trinken und mit meinem erworbenen Riopan einem weiteren ARA Randonneur helfen.

Schwindende mentale Fähigkeiten? Ich doch nicht, man kann doch mal losfahren und seinen Rucksack vergessen. Gut, dass es nur wenige hundert Meter waren, bevor die Hautsensoren bemerkten, dass etwas anders ist, denn es ging ordentlich bergab.

In Villianes (1016 km), einen Marathon vor Paris (. . . ab jetzt heißt es: ein Marathon geht immer!), ist die Hölle los! Gefühlt die ganze Stadt steht Spalier und hört sich den Kommentator an, der mir nach 1000km eher wie ein zu lauter Marktschreier vorkommt. Ging aber nicht nur mir so. Durch mein ARA-Trikot bin ich beim Essen darüber in ein nettes Gespräch mit einem anderen ARA-Trikot verwickelt worden.

Die Landschaft wird danach wieder weicher und offener, die Straßen jetzt wieder "endlos" gerade, so dass sich einige Interessensgruppen gegen den Wind bilden und ich treffe meine Jungs aus Seattle wieder.

Die werden langsam dünnhäutig. Karl braucht dringend Wasser und sieht ein kleines Kind mit Mutter und einer 1,5 l Flasche am Straßenrand stehen. Es strahlt schüchtern übers ganze Gesicht, dass es helfen kann und dafür auch noch einen Anstecker aus Seattle bekommt; was eine rührende Szene! Meine Jungs müssen nachschmieren und ich freue mich über meine UV-protektiv Accessoires. "Ne, mit dem fahren wir nicht zusammen, der fährt so komisch." Und noch ein Stopp, . . . die Jungs waren müde, ihnen fehlte Schlaf.

 

In Mortagne (1100 km) angekommen wollten wir das mit einem Powernap nachholen. Gut warm gegessen, die Auswahl war groß und mit weiteren Randonneure aus Seattle waren nette Gesprächspartner da. Ein Bier für die Gnade des schnellen Einschlafens getrunken kommt Fred: „Come on Tom!“

Wie, kein Nickerchen? Nein, Karl hatte nach- gerechnet, sie fliegen sonst aus der Zeit . . .  Das war hart und die Strecke zunächst auch! Gut, dass die Helfer immer Acht geben auf die Randonneure mit langsam schwindenden, mentalen Fähigkeiten.

 

Aus der schönen befestigten Stadt heraus ging es ordentlich den Hügel hoch und ich kam kaum mit: Bauch voll schlagen, Bier trinken und Radfahren – keine gute Kombi! Dann ging es runter und ich hatte sie wieder, bis zum Gegenhang, da habe ich sie ziehen lassen; jetzt noch blau fahren, sinnlos.

Oben angekommen lädt mich ein Fotograf zum Bier ein. Dankend abgelehnt, aber mit Kaffee und Eis im Schatten war mir auch geholfen, denn es war heiß. Einem Finnen ist es zu heiß, kein Wunder, musste er seine Haut mit schwarzen Arm- und Beinlingen schützen. Ein anderer hatte in Mortagne seine Hüfttasche mit all seinen Ausweisen vergessen . . . .

Danach rollt es locker, verdächtig locker, geht es sanft bergab?!? Ja! Wie lange? Bis zur letzten Kontrolle! Kette rechts und mit Spaß in den Sonnenuntergang. Bis Dreux hatte ich einige Fahrer*innen überholt. Auch einen Italiener, der mich zuvor überholt hatte. Anscheinend sieht man sich auch bei Abfahrten zweimal.

Dann der Schock bei der Ankunft in Dreux, Arun kann wohl nicht weiter fahren, seine Achillessehne ist dick und schmerzt. Der Kölner will nach der Zielankunft direkt mit dem Auto zurückfahren (!!!!), sein Kumpel schmeißt ne (Schmerz?)Tablette ein; 1177 km quasi nonstop haben uns alle gezeichnet. Doch keiner war so platt, wie der Seattle Singlespeed Fahrer, den seine Kumpels zurück gelassen hatten. "Wo denn der Weg weiter geht?", fragt er mich, obwohl ich unter dem "EXIT" Schild stehe. Auf dem Weg heraus fährt er schnurstracks auf Gitter zu, erst mein „Stopp, turn right!“ retten ihn. Auch mit eindringlichen Worten war er nicht, zur Umkehr oder Pause zu bewegen. Habe lange überlegt, den auf Motorrädern patrollierenden Kontrolleuren einen Tipp zu geben.

Noch 50 km, Wahnsinn, wenn alles gut läuft, dann komme ich vor 12 an, unter 80 Stunden!?! Fassungslos fahre ich über Steigungen und überraschend kurvige Abfahrten, als mich ein Trio auffährt. Nach einem Satz des „Anführers“ dieses Lumpensammlerzuges war klar, das wird ein sehr lustiges, kurzweiliges, letztes Teilstück; Carlos aus Spanien ist eine Macht in der vierten Nacht! Plaudernd und z.T. (gefühlt?) schnell sind wir mit Orientierungsschwierigkeiten durch verwirrend kleine, einsame Dörfer sowie über zunächst lausige Wirtschaftswege gefahren. Waren wir einfach platt, den Weg nicht zu finden, oder war das schon ein Resultat der Souvenirjagd, denn die Anzahl an Schildern wurde geringer?! Irgendwann dann erste Jauchzer beim Ortsschild Rambouillet, dann entlang der Bergerie Mauer, auf das Gelände, wo echt noch etwas los war, dann über die sandigen Wege und durch den Zielbogen! Eine Schleife um den Pudding und wir waren da!

Das gemischte Quartett aus China, France, Spain und Germany im Ziel!

Warme Worte und Hände halten bei der persönlichen Übergabe der echt großen Medaille, wau, was ein Empfang! Dann ein warmes, gesponsertes Essen, ein erstes Bier, Fred und den todmüden Karl umarmt. Was eine ausgelassene und heitere Stimmung, mit riesiger - sorry- potthässlicher Schärpe eines Taiwanesen für die Fotos der Siegerposen. Zwei Bier später war mein Stecker gezogen und ich musste schnell zum Campingplatz, duschen und schlafen.

     

Sachen am Zelt zusammenpacken war dann schon schwierig und gehen mit verdrehtem Rücken keine Freude. Fluchend dann vor der verschlossenen Duschraumtür gestanden, "Die Wissen doch, das wir kommen!!" Am Zelt selber beruhigt, "Schau nochmal, man kommt dann bestimmt von der anderen Seite hinein . . . . "

Mental und körperlich war ich dann doch durch. Rein in den nassen Schlafsack und geschlafen hab ich wie ein Murmeltier.

 

 

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